Grenzschließung ein Affront – Öffnung ist das Gebot der Stunde
Ohne Zweifel, die Corona-Pandemie stellt uns auf harte Proben. Und alle verantwortlichen Politiker/innen haben schwere Entscheidungen zu treffen – vor allem auch zu Kontaktverboten.
Die Grenzschließungen nach Luxemburg – an der Mosel, an der Sauer und Our, sowie in Wallendorf an Sauer und Our – sind nicht nur eine unzumutbare Belastung für die ausgegrenzten Ortsbewohner/innen, sondern sie sind auch ein Affront gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern auf der luxemburgischen Seite.
Die nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wieder aufgebaute gute Nachbarschaft wird durch die Grenzschließung beschämend beschädigt; denn auch in Luxemburg gelten wie in Deutschland Gesundheit schützende Kontaktverbote. Und dort wie hier halten sich die Menschen verantwortungsvoll daran.
In Wallendorf ist nicht nur die Brücke über die Sauer verbarrikadiert, sondern auch die Brücke über die Our ist geschlossen, die vorwiegend dem landwirtschaftlichen Verkehr dient. Diese Schließung – geradezu absurd!
Weite Umwege werden den Menschen in Wallendorf zugemutet, um sich den Lebensunterhalt zu besorgen, weil sie die Grenze vor Ort nicht mehr passieren können. Es gibt kein Geschäft im Ort, und die Menschen können den Arzt nicht besuchen oder Therapien in Luxemburg wahrnehmen, ohne weite Umwege in Kauf nehmen zu müssen. Zumal die Pendler, die täglich zur Arbeit nach Luxemburg fahren, sind stark von der Ausgrenzung betroffen.
Inzwischen ist die Grenze in Bollendorf wieder geöffnet. Nicht mehr nachvollziehbar ist, dass die Grenzbarrikaden in Wallendorf nicht weggeräumt wurden.
Das einzige Geschäft in Wallendorf, ein Friseursalon, zu dessen Kundenkreis vorwiegend Damen aus Luxemburg zählen, könnte wieder geöffnet werden wie andere Geschäfte in ganz Deutschland auch. Wird gleiches Recht an der Grenze in Wallendorf gelten, und werden dazu die Grenzsperren abgebaut?
Die gegenwärtige Situation erinnert makaber an die Zeit nach dem Krieg, als Wallendorf über einen längeren Zeitraum wie abgeriegelt war. Pastor Schmitt erkämpfte damals – 1950 – die Passierbarkeit über die Grenze. (vgl. Vu gester bis haett – Chronik Wallendorf – Geschichte(n) erlebt und erzählt – S. 157ff)
Die Öffnung der Grenze nach Luxemburg – in allen Grenzorten – ist das Gebot der Stunde!
Zurzeit – im Jahre 2015 – erleben wir, dass viele Menschen weltweit auf der Flucht sind. Sie brauchen unserer Hilfe. Auch bei uns gibt es noch Zeitzeugen, die sich an ihre eigene Flucht in den Kriegsjahren 1944/45 erinnern. Sie schildern ihre leidvollen Erfahrungen, aber auch ihre Freude und Dankbarkeit, wo und von wem immer sie willkommen aufgenommen wurden. Vielleicht können diese Erinnerungen unsere Willkommenskultur Flüchtlingen gegenüber neu beleben.
Hier ein Auszug aus „Vu gester bis haett“ Chronik Wallendorf – Geschichte(n) erlebt und erzählt. (S. 99 ff)
4.2.9 Feuerpause und Flucht Gegen Mittag tauchten deutsche Feldjäger auf. Sie betraten den Kellerraum und teilten mit, dass zwischen den deutschen und amerikanischen Kampfeinheiten ein Waffenstillstand vereinbart worden sei, um die im Dorf verbliebene Bevölkerung zu evakuieren. Innerhalb von zwei Stunden müssten alle Bewohner das Dorf verlassen haben. Danach würden die Kampfhandlungen fortgesetzt.
Zwischen Angst, Sorgen und Erleichterung hin und her gerissen, verließen die Menschen mit ihren wenigen Habseligkeiten die Kellerräume und versuchten aus ihren Wohnungen das eine oder andere mit auf die Flucht zu nehmen.
An den Ufern der Sauer nutzten Soldaten beider Kriegslager die Kampfpause, Wäsche zu waschen, die Amerikaner jenseits und die Deutschen diesseits des Grenzflusses. Den Leuten, die von der Mühle auf dem Weg zu ihren Häusern im Dorf waren, winkten einige amerikanischen Soldaten sogar freundlich zu. War das purer Sarkasmus? Oder vielleicht doch eine Geste der Humanität nach den Tagen eines barbarischen Kriegsinfernos?
Die Flüchtenden versorgten sich mit Getränken und Verpflegung und brachen auf. Zu Fuß, mit voll gepackten Handkarren, noch einmal zurückblickend, schleppten sie sich, zweifach eingekleidet, die Straße nach Niedersgegen den Berg hinauf.
Der Versuch einer Familie, eine Kuh vor das Wägelchen zu spannen, scheiterte. Die Kuh blieb stehen, stocksteif. Nichts half, weder Zureden noch Antreiben mit einem Stock. Wie gelähmt war sie. Der Schock saß auch ihr in den Knochen. Andere Kühe standen mit hoch gereckten Hälsen auf der Weide am Ortsausgang. Einige brüllten. Dazwischen blickte ein Bulle grimmig und unberechenbar von der erhöht liegenden Wiese auf die Flüchtlinge herab. Schweine und Hühner liefen orientierungslos zwischen den Häusern, in den Gärten und auf der Straße.
Am Straßenrand lag ein toter Soldat, der einen Bauchschuss erlitten hatte. Zu spät hatte man versucht, die Kinder vor diesem schrecklichen Anblick zu schützen. Wenige Schritte weiter streckte ein erschossener Soldat die erstarrten Arme in die Höhe, als flehe er sich ergebend um Hilfe.
Zahlreiche Soldaten, junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, fanden bei den Kämpfen um Wallendorf in diesen Tagen den Tod.
Rauch von Schwelbränden und Verwesungsgeruch stiegen aus den Trümmern. Viehkadaver lagen verstreut auf den Feldern. Ein trüber, nasskalter Septembertag.
Bis zum Schloss Kewenig im Tal jenseits des Römerberges – vum Rommischberch – etwa drei Kilometer musste man durchhalten. Wortlos, dem Schicksal ergeben, mühte man sich voran. Den Kindern schien der Weg endlos, sie seufzten und stöhnten: „Wie lange dauert es noch? Sind wir bald da?“ Zu trösten, war keine Zeit, es fehlte die Kraft. Das Gerücht kam auf, die SS habe sich aus Sicherheitsgründen geweigert, einen Bus zum Abtransport der Flüchtlinge in das Dorf bis an die Front zu schicken.
Im Schlosshof Kewenig standen drei Busse zur Evakuierung der Flüchtlinge aus Wallendorf und aus den Nachbarorten bereit. Aus allen Richtungen näherten sich Menschengruppen und hofften, warteten darauf, mitgenommen zu werden. Wohin der Transport gehen sollte, wusste niemand so genau. Bis über den Rhein, hieß es.
Die überfüllten Busse setzten sich in Richtung Bitburg in Bewegung. Verängstigt rückten die Leute auf den Sitzen zusammen oder stauten sich dicht gedrängt im Gang zwischen den Sitzreihen. Trotz allem erzählte man sich gefasst gegenseitig von den Erlebnissen der letzten Schreckenstage. Was erwartete sie als Flüchtlinge bei fremden Leuten?
Schon nach wenigen Kilometern hatte der Bus eine Reifenpanne. Der Fahrer konnte den Bus noch zur Straßenseite bis an Grabenrand steuern. Er bremste ab und öffnete die Tür, um den Schaden zu überprüfen. Auch der SS-Transportbergleiter stieg aus. Diesen Moment nutzte ein Familienvater und schob seine Familienangehörigen aus dem Bus, mit gepresster Stimme: „Rous hei!“ Die Kinder stürzten in den Graben, rappelten sich aber schnell wieder auf.
Kaum hatte das der SS-Mann bemerkt, herrschte er den Vater mit gezogener Pistole an und brüllte, wieder in den Bus einzusteigen. „Nur über unsere Leichen!“ beharrte der Vater. „Dann fahren Sie zum Teufel mit ihrer Sippschaft!“ fluchte der SS-Kommandant.
Ohne sich noch einmal nach dem Bus umzusehen, schlich die Familie mit ihren Gepäckstücken auf den Schultern über einen Feldweg davon.
Am ersten Bauernhof, es war kurz vor dem Fluchtort Baustert, in dem ihre Verwandten wohnten, machten sie halt. Eine ländliche Idylle geradezu. Keine Spuren des Krieges. Die Sonne schien nur spärlich durch die Nebelschwaden, die aus den Tälern heraufzogen. Erleichterung und Dank für ein Milchgetränk und eine Brotschnitte mit Pflaumenmarmelade. Es war Herbst und Pflaumenzeit. Hier auf dem abgelegenen Bauernhof hatte man den Krieg noch nicht erlebt, nur davon gehört. Ein Ort friedlicher Geborgenheit, so empfanden es die vom Kriegsgeschehen gezeichneten Flüchtlinge. Als die Hausbewohner von dem schrecklichen Geschehen in Wallendorf hörten, konnten sie es kaum glauben und begriffen erst nach und nach, dass auch ihnen ein solches Schicksal bevorstehen könnte. Das Erstaunen schlug um und besorgte Blicke folgten den weiter ziehenden Fremden.
Das Wiedersehen mit den Verwandten in Baustert schaffte zunächst große Verwirrung. Vor Entsetzen schlugen einige die Hände über dem Kopf zusammen, als sie die Flüchtlingsfamilie mit den drei kleinen Kindern vom Berghang (s. Pfeil) herunter kommend sich ihrem Haus nähern sahen – nachmittags, Freitag, 22. September 1944.
5. Kriegserlebnisse und Fluchtgeschichten Es wären viele Geschichten, an Wunder grenzende Rettungserlebnisse und Erfahrungen im Kampf ums Überleben zu berichten. Es gab aber auch Zeiten aufzuatmen und zu feiern. Die Jahreszeiten bestimmten auch im Krieg den Alltag mit seiner Arbeit. Ausführlich berichten darüber die Briefe einer Bäuerin aus Wallendorf. Auszüge davon sind in der Chronik nachzulesen.
Hier sollen einige wenige Begebenheiten erzählt werden, die der Chronist selbst erlebt hat oder bei Interviews in Erinnerung gerufen werden konnten. Sie lassen möglicherweise den Ausnahmezustand der Verrohung im Krieg erahnen und können dennoch zugleich aufzeigen, wie menschliche Würde bewahrt wird und helfende Zuwendung sich durchsetzt.
Von Jabos gejagt – aus dem Keller vertrieben Die Ruhe währte nur kurze Zeit. Schon bald wurde der Vater mit weiteren Männern zum Volkssturm eingezogen. Die Ehefrauen setzten sich mutig zur Wehr und für ihre Männer ein, um sie von diesem Einsatz fern zu halten. Vergeblich! Zuerst waren die Flüchtlinge dran. So verpflichtete der Bürgermeister den Familienvater einer Flücht-lingsfamilie, um seinen eigenen Sohn zu schonen. Die Straßen in der Region Neuerburg, vom Schnee frei zu schaufeln, war die Aufgabe dieser Männer. Nach drei Wochen – die Amerikaner waren weiter vorgestoßen – setzten sich einige Männer aus dem Volkssturm ab. Sie desertierten und kamen hungrig und verlaust zu ihren Angehörigen zurück.
Immer wieder gab es Fliegerangriffe. Das Land wurde buchstäblich flächendeckend zerbombt. Wie zielgenau die Jabos operierten, erlebten wir Kinder, als wir an einem Nachmittag gegen 15.00Uhr draußen im Hof spielten. Ohne uns bewusst zu sein, wie grotesk unser Spiel war, riefen wir uns zu: Deutschland erklärt England (oder Frankreich oder irgendeinem anderen Land) den Krieg. Obwohl darauf trainiert, überhörten wir in unserer Spielbegeisterung die herannahenden Jabos.
Nur ein Schrei unserer kreidebleichen Mutter von der Treppe vor der Haustür rettete uns im letzten Augenblick vor den Todeskugeln eines Jabos. Kaum hatten wir den Hausflur erreicht, da ratterte eine Salve Bordwaffen in den Boden, genau an dem Platz, wo wir gerade noch gespielt hatten. Ein Wunder? Oder nur Zufall? Glück gehabt? Hatte der Pilot die Kinder absichtlich angegriffen? Getreu dem Motto: Wer den Krieg gewinnen will, muss die Brut töten!
Luftkampf zweier Flugzeuge. Immer wieder umkreisen sie sich, weichen geschickt aus, greifen erneut an und versuchen den Gegner abzuschießen. Schließlich trudelt ein Flugzeug getroffen und außer Gefecht gesetzt in die Tiefe, der Pilot kann sich retten und gleitet im Fallschirm hinterher, ein Engländer, der sich verflogen hatte, wie der Pilot nach der Festnahme im Verhör gestand.
Vor Weihnachten 1944 kamen Soldaten ins Dorf, quartierten sich in Privatwohnungen ein, besetzten sie gleichsam und die Bewohner mussten sehen, wo sie in ihrem eigenen Haus noch verbleiben konnten. Sie zogen sich in die Kellerräume zurück und im Wohnzimmer feierten die Soldaten Weihnachten unter einem selbst gebastelten Weihnachtsbäumchen, geschmückt mit Zeitungsstreifen als Lamettaersatz und mit Gewehrpatronen statt bunter Kugeln. Dazu hatten sie sich die knapp 20 jährige Haustochter als Gesellschafterin befohlen. Wie sie später berichtete, verhielten sich die Soldaten ehrenhaft, wie Kavaliere eben.
Während sie feierten, gesellte sich zu vorgerückter Stunde ein Gast hinzu, ein Soldat in deutscher Uniform, der vorgab, seine Einheit verloren zu haben. Dennoch, sein Sprachakzent verriet ihn. Gerade als Spion verdächtigt, stürzte er zur Tür hinaus und floh. Niemand verfolgte ihn, keiner liquidierte ihn – es war Weihnachten trotz Krieg. Als die deutschen Soldaten am Nachmittag vor Heilig Abend in einem ungeordneten Haufen angekommen waren, fiel ein Soldat unter ihnen auf, eigentlich kein Soldat, sondern ein 14 jähriger Junge in verschlissener Uniform. Der Mantel schleifte über den Boden, der Helm hing ihm schief ins Gesicht und das geschulterte Gewehr baumelte größer als er selbst über seiner rechten Schulter. Bettelnd streckte er mit beiden Händen zitternd einen unterwegs gefundenen Porzellanteller aus – sein Kochgeschirr hatte er verloren – und erbat mit gebrochener Stimme, das Gesicht von Tränen und Staub verschmiert, etwas zu essen. – Ein Bild des Jammers! Grotesk anzuhören der Gesang der Weihnachtslieder aus dem Wohnzimmer, immer wieder unterbrochen von grölendem Gelächter, lautstärker, je mehr die Kämpfer getrunken hatten und auch schon besoffen waren. Der Zusammenbruch von Soldatenkarrieren in einem demoralisierten Heer im Untergang des „Dritten Reiches“! Bitburg, nur 20 km entfernt, stand nach dem ersten Bombenangriff in Flammen.
Am folgenden Tag, am 25.Dezember 1944, am ersten Weihnachtstag nach dem Hochamt, erlebten die Dorfbewohner in Baustert vor der Kirche zusammen mit den Flüchtlingen im Ort die 2. Welle der amerikanischen Jagdbomberangriffe auf Bitburg. Sie sahen die amerikanischen Bomberstaffeln wie Scharen von Raben am Himmel und hörten die Detonationen der Bomben am Boden.Jeder wusste, bald würden die Amerikaner auch ihr Dorf besetzen. An Befreiung dachte zu diesem Zeitpunkt niemand. Nur Angst beherrschte die Menschen.
Als die Amerikaner das Dorf besetzten, hatten sich die Familien in die Keller zurückgezogen, in Sicherheit gebracht.Auf einmal flog die Kellertür auf und mit vorgehaltenen Maschinenpistolen tasteten sie sich amerikanische Soldaten vorsichtig die Treppenstufen hinunter. Mit drohenden Gebärden und lautstarken Zurufen befahlen sie den von Angst und Schrecken gezeichneten Leuten den Kellerraum zu verlassen. Auf einer Wiese am Dorfbach wurden etwa 200 Menschen, Frauen, Männer und Kinder, zusammengetrieben. Totenblass die Gesichter der Leute, die umzingelt sich den amerikanischen Soldaten, Schwarzen und Weißen, mit schussbereiten Waffen, ausgeliefert fühlten. Wie gebannt standen sie dicht gedrängt, einige klammerten sich aneinander in großer Furcht, erschossen zu werden. Mehrere Stunden mussten die Menschen auf der Wiese ausharren und wurden am Abend in die Kirche verlegt.
Nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Decken, sich zu wärmen. Zwischen den Kniebänken im Kirchenschiff und auf der Empore richtete man sich ein, so gut es eben ging, bangend und hoffend, dass die Amerikaner es zuließen, aus den Häusern Kleidung, Decken und Lebensmittel zu besorgen.
Zunächst konnten einige ausgewählte Männer die Kirche verlassen, um das Vieh in den Ställen zu versorgen. Sie durften aber keine Lebensmittel in die Kirche mitbringen. Aber einem Mann gelang es, heimlich eine Speckschwarte durch die Wachposten zu schmuggeln. Gierig lutschte ein kleiner junge daran, der Jüngste, der sich hinter dem Harmonium versteckt hatte. Acht Tage mussten die Menschen in der Kirche bei dürftigster Verpflegung und unter primitivsten sanitären Bedingungen aushalten. Ausgang gab es morgens und nachmittags, aber nur bis zum Rand der Friedhofsmauer vor der Kirche. Die Leute standen an der Mauer entlang, unterhielten sich und sahen den Soldaten zu, wie sie durch die Dorfstraße patrouillierten.
Ein kleiner Junge hatte von seiner Tante ein leuchtendgelbes Armband aus Perlmut geschenkt bekommen. Er spielte damit am Arm, drehte es um den Handknöchel, zog es ab und unversehens war es ihm aus der Hand geglitten. Es fiel von der Mauer herunter und lag in der Abflussrinne am Straßenrand. Ein Soldat musste den Aufschrei des Jungen und dann sein Heulen gehört haben. Ein Schwarzer näherte sich der Mauer, sah das Armband, hielt es in die Höhe, lachte über das ganze Gesicht und seine weißen Zähne leuchteten.
Dann kam er herauf, trat auf den Jungen zu und legte ihm das Band wieder um den Arm. Erstaunlich, der Junge zeigte weder Scheu noch Angst vor dem Fremden, dem schwarzen Soldaten. Ein prägendes Erlebnis, das seine Haltung Schwarzen gegenüber zeitlebens mit Sympathie bestimmte.
Sie hat sich durchgeschlagen Auch Jahrzehnte danach erinnern sich Augenzeugen an ihre Kriegserlebnisse und Fluchtgeschichten. Auch andere könnten ihre Geschichte erzählen. Stellvertretend für viel andere sind diese Berichte zu verstehen. Irgendwann im Jahr 1944 war ihr, Maria Schmitt, Jhrg. 1924, der Stellungsbefehl zum Reichsarbeitsdienst in Rendsburg, Schleswig-Holstein, zugeschickt worden.
Mit einer jungen Frau aus Kruchten fuhr sie im Zug nach Rendsburg. Unterwegs gab es schnell Kontakt mit deutschen Soldaten und viel zu lachen. Eine schöne Tour, weiß sie zu berichten. Keine Sorgen, keine Ängste!
Nach kurzer Zeit in Rendsburg kam sie nach Hyppede bei Hannover zu einer Stellung der Flugabwehr im Feldgelände und erhielt eine Ausbildung an der „Invert- Gleichstrom–Hochleistungslampe“. Wenige Tage später wurden bei einem Fliegerangriff 20 junge Frauen getötet.
Wachposten stehen in der Nacht von 20.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens war für sie ein Grauen. Einmal hatte sie zur Beruhigung ein kleines Hündchen mitgenommen. Als sie gegen 23.00Uhr ein Licht im nahe gelegenen Wald entdeckte, erfasste sie die Angst und sie suchte Schutz in der Mannschaftsbaracke. Das war ein gravierendes Dienstvergehen.
Der Dienst habende Offizier, Vater einer gleichaltrigen Tochter, ließ sie zu sich rufen. Statt einer für solche Vergehen harten Strafe musste sie einen Bericht zu den Vorgängen auf dem Wachposten schreiben. Damit hat sie ihn so beeindruckt: „Hut ab vor dieser Arbeit!“, dass er sie zu einer Tasse Kaffee einlud, und der Fall war erledigt. Chapeau vor dem Offizier!
Gegen Kriegsende 1945 entschloss sie sich mit einer Freundin zu fliehen. Auf zwei gestohlenen Fahrrädern ohne Verpflegung machten sie sich auf und davon. Schockiert fuhren sie an drei erschossenen amerikanischen Soldaten vorbei, die in einem Straßengraben zurückgeblieben waren.
Von Haus zu Haus erbettelten sie sich un terwegs etwas zu essen. Sie begegneten auch Soldaten die ihre Einheit verloren hatten und auf der Flucht waren. An der Brücke von Remagen gab sie sich einem amerikanischen Soldaten gegenüber, der sie aufgegriffen hatte, als Luxemburgerin aus. Daraufhin wurde sie freundlich behandelt, bekam zu essen, zu trinken und Schokolade dazu.
Dann setzte sie den Weg Richtung Bitburg fort und ein Milchwagenauto brachte sie bis nach Holsthum. Von dort ging es weiter zu ihrem Heimatort Ferschweiler. Drei Männer in einem Auto fuhren kurz vor dem Ziel an ihr vorbei und kurze zeit darauf kamen ihr die Mutter und ihre Schwester entgegen. Die Männer im Auto hatten sie erkannt und die Familie informiert: „Gitt flott ob Stroß, do kennt är Maria!“ (Geht schnell auf die Straße, da kommt eure Maria!)
Henni und Hanes in den Kriegswirren Davon weiß Edmund Burggraf zu erzählen. Sein Opa Hanes und Henni Pütz aus dem Nachbarhaus haben sich immer gut verstanden. Daran sollte auch der Krieg nichts ändern. Sie blieben einfach zu Hause, als alle anderen schon im September 1944 geflohen waren. Die junge Familie Burggraf war nach Oberbiber bei Neuwied geflüchtet. Mehrmals hat Hanes im Haus Brände gelöscht und so die völlige Zerstörung des Hauses verhindert. Hanes hat erst Anfang 1945 das Dorf verlassen als die Amerikaner ihn zwangsweise evakuierten. Henni, der schon früher weggezogen war, kam zwischendurch einmal nach Hause zurück. Beide Männer standen im Gespräch miteinander vor der Tür des Hauses Burggraf. Schüsse waren zu hören. Sie gingen ins Haus, saßen in der Küche in der Nähe der Haustüre.
Kaum hatten sie Platz genommen, da schlug eine Granate mit höllischem Lärm in die Haustüre ein. Henni, der direkt an der Türe auf einem Stuhl gesessen hatte, riss der Druck der Granate zu Boden und er war schwer verletzt.
Hannes lief auf die Straße. Mit erhobenen Händen stellte er sich den amerikanischen Militärfahrzeugen in den Weg. Sie stoppten und er konnte ihnen zu verstehen geben, dass im Haus jemand schwer verletzt worden sei. Bei der Militärkolonne war ein Arzt dabei. Er ließ sich ins Haus führen, legte Henni um den Ober- und Unterkörper einen Notverband an und amerikanische Soldaten brachten ihn nach Diekirch ins Militärkrankenhaus. Dort erlag er nach wenigen Tagen seinen schweren Verletzungen.
Diesen Vorfall hat Hanes nach dem Krieg vor einem Gericht bezeugt und für Hennis Frau billigte das Gericht die Kriegerwit-wenrente.
Hanes war einer der ersten, der mit Beendigung der Kämpfe nach Wallendorf zurückkehrte, provisorisch das Hausdach reparierte und meterhohen Schutt weg-schaufelte, um wieder einen freien Zugang zum Haus zu verschaffen.
Die Angehörigen kehrten bald wie viele andere aus dem Dorf auch in den Monaten April/Mai 1945 nach Hause in ein Trümmerdorf zurück.
Flüchtlinge Menschen 2. Klasse oder willkommene Gäste Deutschland litt unter dem „Totalen Krieg“, auf den der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 in einer aufhetzenden Rede im Berliner Sportpalast das deut-sche Volk eingepeitscht hatte. Trotz verheeren-der Zerstörungen gab es gegen Ende 1944 noch Orte der Flucht. Anni Grommes/Ludig erinnert sich. Flüchtlinge waren in einigen Nachbarorten nicht willkommen, nur geduldet. So saß in einem Ort die ‘Hausherrschaft’ am Familientisch, getrennt davon das Gesinde mit den Flüchtlingen abseits an einem veralteten Tisch. Die Hausherrin hatte einen Braten zubereitet und fettes Fleisch gekocht. Ein junges Mädchen aus der Flücht-lingsgruppe erbat ein Stück vom Braten. Das andere, fette Fleisch sei gut genug, es solle da-von essen, schlug die Hausfrau die Bitte des Mädchens ab. Genasführt und gedemütigt, musste es ein Stück des fetten Fleisches wür-gend hinunterschlucken, um wenigstens den größten Hunger zu stillen. In diesem Haus blieben sie nicht länger und zogen zu Fuß weiter. Auf dem Weg in ein anderes Dorf verlor das Mädchen zudem noch seinen Hundefreund Paulchen. Ein vorbeirasendes Auto besetzt mit deutschen Soldaten erfasste den Hund, der tödlich verletzt am Straßenrand verendete. Keine Zeit für Tränen und Trauer. Das Tier verscharrt, der Fußmarsch ging weiter.
Sie erreichten müde und entkräftet Ingendorf bei Bitburg. Im Haus einer Familie mit zwei kleinen Kindern fanden sie gastfreundliche Aufnahme.
Anderntags machten sie sich auf den Weg zu Verwandten in Oberstedem, ca. 5 km südlich von Bitburg und fühlten sich bei ihnen wie zu Hause. Aber es war eine Flucht von der Front weg in einen neuen Krieg, als die Amerikaner im Frühjahr 1945 auch diese Gegend eroberten.
Ein deutscher Offizier hatte eines Tages eine Frau in der Nachbarschaft gebeten, die Wäsche seiner Soldaten in ihrem Waschkessel waschen zu können. Sie lehnte ab, weil ihr Waschkessel ihr zu schade sei, um dreckiges Zeug von Soldaten darin waschen zu lassen. „Hei gett neist gewäsch! Halt dier är dreckig Lompen un!“ (Hier wird nichts gewaschen. Trag eure dreckigen Lumpen weiter!) Diese Beleidigung sollte ein böses Nachspiel haben. Der Offizier sagte nur: „Frau Wirtin, ich werde an sie denken!“ Er war zutiefst betroffen, standen doch junge Soldaten unter seinem Kommando, die er an Weihnachten nur noch zusammenhalten konnte, indem er einen Angriff der Amerikaner vortäuschte und die jungen Kerle in ein fiktives Kriegsgeschehen kommandierte. „Und jetzt sagt mir diese Frau so etwas ins Gesicht!“
Nachts mussten die Soldaten abziehen und zwei Tage später krachte es in der Waschküche und sie war dem Erdboden gleich gemacht. Ein getrockneter Schinken weggeschleudert aus dem Schornstein hing an einem Ast in einem Baum. – Groteske Kriegskomik! – Die Wäscherin wusste, wer ihnen das angetan hatte! Zu späte Einsicht!
Ein anderes Kriegsereignis war der Absturz einer V1, eines unbemannten sprengstoffbeladenen Marschflugkörpers des deutschen Heeres, in unmittelbarer Nähe des kleinen Dorfes. Der Vater, der auch als Schlachter bei den Dorfbauern gefragt war, pflügte eines Tages ein Ackerfeld mit einem Ochsengespann. Er hatte einen Kondensstreifen am Himmel gesehen, ein Summen gehört und wunderte sich, dass dann nichts mehr zu sehen war. Plötzlich aber krachte es in einer Entfernung von 200 Metern. Eine Druckwelle riss ihn vom Pflug und das Ochsengespann sprang in die Höhe. Eine V1 war zu früh abgestürzt, explodiert und hatte einen riesigen Krater aufgerissen, in das ein Haus gepasst hätte.
Auch diese Schreckenstage gingen vorüber und im April 1945 kehrten sie nach Hause zurück.
Geflüchtet – und doch wieder im Dorf Davon erzählt Theo Steins. Seine Familie war bei der Flucht in den Septembertagen bis nach Schleiden, bei Euskirchen, NRW, gekommen.
Das Vieh, fünf Kühe, trieben sie vor sich her bis „ob d’Hieh“, Freilinger Höhe. Dort ließen sie die Tiere zurück, ungewiss, was mit ihnen geschehen werde.
Junge Rinder und Schweine hatten sie zu Hause lassen müssen. Eines Tages im Dezember machten sich die beiden Brüder auf den Weg zurück nach Wallendorf, um zu erfahren, was sich in der Zwischenzeit ereignet hatte. Das Vieh war vertrieben oder erschossen worden.
Auf einmal, sie hatten schon zersplitterte Fenster im Haus mit Brettern zugenagelt und saßen gerade auf dem Dach, um Kriegsschäden zu flicken, da hörten sie das heulende Sausen eines herannahenden Jabos. Sie sprangen auf den Dachboden, gin- gen so gut es ging in Deckung und hörten die Bombendetonationen. In der Sauer, so konnten sie beobachten, schossen Wasserfontänen hoch, als eine Bombe im Fluss xplodierte. Eine weitere Bombe schlug in den Gärten bei der Mühle ein. und eine dritte war auf Kasselt abgeworfen worden. Nach dem Angriff kamen auch deutsche Soldaten. Ihnen mussten sie helfen, die toten Kameraden zu bergen, vierzehn junge Menschen gerade 18/20 Jahre alt oder etwas älter waren bei dem Bombenangriff getötet worden.
Theo erinnert sich auch, als sie nur wenige Tage noch vor dem Angriff der Amerikaner mit anderen aus dem Dorf – Lehrer Feld, Peter Engel, Wilhelm Wies, Peter Trampert u.a. – zum Schanzen im Saargebiet bei Palzem eingesetzt waren. Sie mussten Panzersperren errichten, Gräben, 3m tief und 4m breit, ausheben. Schwerste Erdarbeiten waren zu leisten. Eines Morgens war keiner mehr „vun de Gehlen“ (von den Gelben) von den Nazis zu sehen. Schnell verbreitete sich die Kunde, dass die Amerikaner im Anmarsch seien, und alle machten sich auf den Weg in ihre Heimatorte. So gingen auch die Wallendorfer zu Fuß nach Hause. Niemand ahnte, dass sie dort in das Frontgebiet um den „Brückenkopf Wallendorf“ kämen.
Geburtstag Katharina Feld/Wenzel erinnert sich an ihren Einsatz als Flakhelferin. Außerdem war sie für den Sanitätsdienst ausgebildet worden. Schreckliches Leid verwundeter Soldaten musste sie ertragen und sie half, wo immer ihre Hilfe nötig war. Und sie tat es auch bei schwersten Verwundungen ohne zu zögern. Über das Kriegselend nachzudenken oder zu klagen blieb weder Raum noch Zeit. Das Leben verwundeter, oft junger Soldaten war zu retten und sie versuchte selbst zu überleben.
Noch Schülerin der Höheren Handelsschule in Trier, erreichte sie der Stellungsbefehl zum Kriegseinsatz. Da sie kurz vor ihrem Examen stand, wurde sie zunächst zurückgestellt, musste aber in den Arbeitsdienst eintreten und Bauern bei der Feldarbeit helfen.
Nach dem Examen wurde sie nach Oberhausen/NRW zur Ausbildung als Flakhelferin einberufen. Nach neun Monaten kam sie nach Rendsburg am Nord-Ostseekanal. Eine weitere Ausbildung zur Instandsetzung von Funkmessgeräten folgte, bevor sie mit anderen Frauen bei Wien zum Einsatz kam.
Am 10. April 1945 war sie auf dem Bahnhof in Linz, als ein Sanitätszug aus Wien ankam, der schon einen ganzen Tag mit Verwundeten unterwegs war, ohne dass die zum Teil schwer verletzten Soldaten in der Zwischenzeit medizinisch betreut worden waren.
Wer etwas vom Sanitätsdienst verstand, sollte helfen, die verwundeten Soldaten medizinisch zu versorgen. Ein Soldat, dessen Heimatort in der Nähe war, bat sie, für ihn eine Karte zu schreiben, damit jemand ihn am Bahnhof abhole. Er konnte selbst nicht mehr schreiben, er hatte einen Arm verloren. Erst als sie das Datum, 10. April 1945, auf die Karte schrieb, erinnerte sie sich, dass es ihr 21. Geburtstag war.